ER035 „Es gibt keine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass mit allen Männern geschlafen wird“

Sexarbeit ist im Feminismus ein Spalterthema: Während die einen sie komplett verbieten wollen, streiten die anderen gegen das Prostitutionsschutzgesetz. Ich habe mir Antje Schrupp und Carmen Amicitiae eingeladen, um darüber zu reden.

Antje Schrupp ist feministische Autorin, Politikwissenschaftlerin und Bloggerin, Carmen Amicitiae ist Sexarbeiterin. Mit den beiden über Sexarbeit zu sprechen war in meinen Augen unglaublich konstruktiv, es ging in die Tiefe und blickte in die Abgründe unserer Gesellschaft, genauso wie wir sehr viel gelacht haben. Carmen weist sie den Vorwurf von sich, sie würde immer nur über die schönen und tollen Seiten der Sexarbeit reden. „Uns wird ein bisschen die Möglichkeit genommen, über schlechte Erfahrungen zu sprechen“, erklärt sie, denn diese würden sofort wieder von den Hardcore-Gegnerinnen gegen sie verwendet.

Wie viel Kontrolle aber braucht Sexarbeit? Sind Gesundheitsrichtlinien nicht sinnvoll? Wieviel darf der Staat sich einmischen? Was ist es eigentlich, dass Sex so dermaßen auflädt? Carmen: „Ich glaube, dass das Zurückhalten von Sexualität von braven Mädchen erwartet wird.“

Und was hat das alles mit Weiblichkeitsbildern und Care-Arbeit zu tun? – All diese Fragen und noch viele mehr besprechen wir ausführlich in dieser guten Stunde.


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Katrin Rönicke
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Antje Schrupp
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Carmen Amicitiae

Music: SaReGaMa – Lucky Number 7
saregama-music.blogspot.com

Links und Hintergründe

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16 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese anregende Diskussion!
    Ich finde es spannend zu beobachten, wie schnell man trotz hohem Abstraktionsniveau in der Argumentation doch schnell wieder in die eigenen Weltbilder und Normvorstellungen rutscht, sich Rollenbilder reproduzieren und normativer Druck implizit aufgebaut wird. An einem Beispiel heruntergebrochen:
    Jeder Mensch hat einen Lustgewinn aus unterschiedlichen sexuellen Praktiken, Rollen in der Situation und so weiter. In der Diskussion sind dann plötzlich alle Männer dominant, wollen sich Frauen nehmen/unterwerfen, die Werbung der Prostitutionskonzerne zeigt es doch deutlich! Folglich sind alle Männer, die einen individuellen Lustgewinn aus Spielen mit Dominanz haben Stützen des Patriarchats.
    Auf der anderen Seite haben alle Frauen emanzipiert und stark zu sein und keinenfalls einen Lustgewinn daraus zu ziehen, sich hinzugeben, denn das wäre Unterwerfung und Stützung des Patriarchats. Tauschte man die Geschlechter aus, beschriebe man den jeweiligen Idealzustand.
    Das soll keine Kritik am Diskurs sein, sondern nur dafür sensibilisieren dass man aufpassen muss wie weit man Dinge verallgemeinert und zusammenzieht, weil man a) irgendwann dem Individuum nicht mehr Gerecht wird und Anwendung wegen Unmuts provoziert und b) seinerseits wieder normativen Druck aufbaut, der dem individuellen „Lustbedarf“ entgegensteht, somit innere Konflikte auslöst. (Darf ich als Feministin Spaß an Unterwerfung haben?)

    1. ich kann nicht teilen, dass in unserer Diskussion *alle* Männer als dominant und Frauen unterwerfend dargestellt werden – im Gegenteil. klar: diese Werbung hat nun einmal oft alte Rollenbilder zum Inhalt und mein Einwurf, dass man ein ähnliches Phänomen in der Pornografie findet ist ja genau in die Richtung abzielend: da gibt es ein großes Feld, das solopp gesagt nicht sehr feministisch ist, sondern sehr – noch salopper gesagt – „archaisch“ wirkt. Carmen führt ja aus, dass dies dann in der Praxis gar nicht immer so sein muss, dass kaum eine Sexarbeiterin dann wirklich „tabulos“ ist. aber zunächst wird so ein Bild ja reproduziert und das denken wir uns ja nun nicht aus, sondern da stimmt ja auch Carmen zu, dass es da noch Luft nach oben gibt, was das Frauenbild (und damit auf der anderen Seite ja auch das Bild von Männlichkeit) etc… angeht.

      ich habe eigentlich das Gefühl, dass all das in unserem Gespräch differenziert wird und der Komplexität auch annähernd gerecht – ganz gerecht wird man in einer Stunde der tatsächlichen Komplexität sicher nie.

      deswegen befremdet mich der Eindruck, den du hast etwas. tja

      1. Sorry, dann haben wir einen klaren Fall von Fehlkommunikation, und wenn ich nochmal drüber lese liegt der klar an mir, das passiert wohl wenn man über’s Smartphone kommentiert und nicht nochmal alles durchscrollen kann. Was ich sagen wollte: Die Diskussion war ausgewogen und differenziert, was ich toll fand. Was ich danach ausführte sind jedoch die Rollenvorstellungen, in denen man in der Diskussion dann doch ab und an rutschte und wo Carmen dann in der Regel stark gegenargumentierte und damit brach, was nach meiner Wahrnehmung schon hier und da zu ein wenig Verwirrung führte und wo sich auch in meinem Kopf Dinge erstmal wieder neu ordnen mussten. Genau darum fand ich die Diskussion so wertvoll. Tja, Smartphones…

        1. ah okay sorry – da hab ich dich wirklich falsch verstanden. danke fürs nochmal erläutern. und ja – ich selbst bin auch immer wieder an bestimmte Denkmuster bei mir gekommen – hört man ja auch – die ich seit dem Gespräch immer weiter hinterfrage :)

  2. Ich habe mich primär gut amüsiert und fand die Diskussion sehr anregend. Sexarbeit ist ein Phänomen, dass nicht verschwinden wird. Die Idee, dass ein Verbot oder das Quasi-verbieten von Sexarbeit dafür sorgt, dass sie nicht stattfindet kommt aus der Idee, dass man sich um die Konsequenzen von verbotenem Handeln als Gesellschaft nicht kümmern muss. (siehe Drogen…) Das stimmt aber nicht. Wenn etwas existiert und es eben Auswirkungen auf die Gesellschaft hat, dann muss Politik dafür sorgen, dass die Interessen aller Beteiligten ausgeglichen werden. Das bedeutet hier wohl: Schutz der Sexarbeiter_innen vor _allen_ Gefahren, die _diese_ für gegeben halten und Stigmatisierung für _alle_ Beteiligten. Die Erkenntnis, dass Sexualität den Staat nichts angeht ist vollkommen richtig. Allerdings sollte die Gesellschaft und damit der Staat dafür sorgen, dass Sexarbeit freiwillig angeboten wird und werden kann und da sind wir dann bei Fragen, die mit dem Thema eigentlich gar nichts zu tun haben: Sozialstaatlichkeit und Gleichberechtigung.

    Ich sehe sehr oft, dass die aktuelle Gesellschaft irgendwie eine Schieflage in diesen Bereichen hat und man nur versucht die „Symptome“ zu behandeln anstatt die Strukturen zu ändern, dabei wäre das nötig.

    1. So einen stuss können auch nur Männer schreiben, die weiterhin ihr Ding überall folgenlos reinstecken wollen.

  3. Ich habe die Sache mit der Kondompflicht nicht so recht verstanden und wäre dankbar für weitere Erklärungen. Im Podcast werden folgende Argumente genannt.

    contra
    – Der Staat hat sich grundsätzlich nicht die sexuellen Beziehungen seiner Bürger und Bürgerinnen einzumischen.
    – Die Kondompflicht führt dazu, dass Polizisten inkognito Prostituierte dazu überreden, auf das Kondom zu verzichten und sie danach dafür anzeigen.
    – Einen Kondompflicht ist nicht zu kontrollieren.

    pro
    + Im Gewerbe gewisse Hygienestandards einzuhalten, sei es Gastronomie oder eben Prostitution.

    Die Gegenargumente haben mich ehrlich gesagt, nicht auf Anhieb überzeugt.

    Grundsätzlich auf staatliche Nichteinmischung in Intimbeziehungen zu pochen, wenn es um sexuelle Dienstleistungen geht, also eine Transaktion mit Geld, die viel konkreter als in der Versorgerehe ist, scheint mir zu kurz gegriffen. Jeder Markt, sei es für Gemüse, Finanzprodukte oder eben sex. Dienstleistungen funktioniert doch nur, wenn er in ein allgemein akzeptiertes und durchsetzbares Regelwerk eingebettet ist, oder? Es geht doch gerade darum, das Prostitutionsgewerbe so zu verrechtlichen, dass Prostituierte die bestmöglichen Arbeitsbedingungen haben, oder?

    Wenn ein Polizist so etwas macht, macht er dann im Falle einer Kondompflicht sich nicht der Anstiftung zu einer Ordnungswidrigkeit/Straftat schuldig oder so? Ein Polizist quatscht doch auch nicht Leute auf dem Parkplatz an, um sie zu überreden, gemeinsam mit ihm ein Auto zu klauen oder absichtlich falsch zu parken und schaut dann, ob sie mitmachen. Das ist doch absurd.

    1. Die zentrale Frage lautet ja nicht: „Ist das Verwenden von Kondomen in der Prostitution grundsätzlich sinnvoll, oder nicht“ – denn da dürfte kaum ein nennenswerter Dissens bestehen.

      Der Punkt ist: Nicht alles was richtig und sinnvoll ist, lässt sich auch sinnvoll durch Gesetze regeln. Und hier stellt sich natürlich auch die Frage, wie viel Regulierung, wie viele Vorschriften in einer „freien“ Gesellschaft tragbar sind. Oder umgekehrt: Wie viel Selbstbestimmung erlaubt man in einer Gesellschaft?

      Das Einführen der Kondompflicht ist aus meiner Sicht eher Symbolpolitik: Es ist leicht dafür von der Allgemeinheit Applaus zu bekommen, tatsächlich lässt es sich praktisch nicht kontrollieren.

      Genau genommen müsste erst einmal spezifiziert werden, bei welchen Sexualpraktiken die Kondompflicht gilt? Warum werden nicht auch Lecktücher vorgeschrieben? Und wer will das letztlich wie kontrollieren?

      Das ist aus meiner Sicht ein Punkt in dem sich der Staat zu weit Regulatorisch einmischt. Das Gesetz ist aufgrund o.g. Aspekte einigermaßen absurd.

      Besser wäre es, statt solche Symbolpolitik zu betreiben, die SexworkerInnen zu unterstützen: Durch Aufklärung, durch unbürokratische medizinische Beratung und allgemeine Verbesserung der medizinischen Versorgung. Letzteres ist gerade bei (oftmals nicht versicherten) Frauen und Männern aus dem Ausland ein Problem.

  4. Wenn Sex sowas ist wie putzen und kochen, dann ist sexuelle Gewalt auch nichts anderes als zwangweise zu putzen und zu kochen. Und das ist dann ja wohl keine große Sache, oder??!!

    Oder doch nicht?

  5. Was mir in der Diskussion nicht ganz klar wird: Warum sollen normale Arbeitsschutzbedingungen oder sogar grundlegende Errungenschaften unseres Sozialsystems denn nun gerade in der Sexbranche so schlimm sein? Warum wurde es in der Diskussion denn z. B. als so ungeheuerlich dargestellt, dass Sexarbeiterinnen auch aus dem Ausland eine Krankenversicherung haben müssen? Das ist doch Minimalstandard unseres sozialen Systems. Jeder, der hier arbeitet, muss eine europäische Krankenversicherung haben – selbstverständlich. Es ist doch Untergrabung unseres Sozialstaates, so eine Pflicht als quasi skandalös hinzustellen.

    1. und kein Wort im „Schutzgesetz“, dass Sexarbeitende zu den selben Bedingungen wie andere Selbstständige versichert werden. Die zahlen oft astronomische Zuschläge so sie denn überhaupt eine Versicherung finden.

  6. Was mir bei diesem Thema immer, auch hier, fehlt, ist die Tatsache, dass das jetzige lateinisch-deutsche Rechtssystem Heterosexualität UNTERSTELLT (die kostenlose Variante, natürlich, zusammen mit der Unterstellung eines Kindewunsches für jede Frau und jederzeit).
    Ich habe mein Leben lang Riesenprobleme gehabt, Vergewaltiger wegzukämpfen – und jede Moralisierung führt NOCH weiter von dem weg was ich brauche: Respekt vor einem schlichten „NEIN!“.
    Ich bin nicht interessiert.
    Ich hasse es, angefasst zu werden. Punkt.

    1. ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf – also welche Aussage in der Sendung – du dich beziehst. und daher ist mir nicht ganz klar, welche Ergänzung dein Beitrag jetzt liefert. was genau unterstellen wir im Gespräch? und was genau hat das mit deiner Geschichte zu tun.

  7. Zunächst zum Thema Krankenversicherung: Der Skandal ist, dass eine Registrierung als Prostituierte(r) nur einem Menschen erlaubt wird, der KV hat. Viele, gerade ausländische Sexworker haben aber keine KV und bekommen hier aus verschiedenen Gründen auch keinen Zugang zur KV. Wenn diese sich nun nicht registrieren dürfen, heißt das nicht, dass sie hier nicht als Sexworker arbeiten werden, sondern dass sie illegal arbeiten werden (müssen). Sie können also Verbrechen gegen sich nicht anzeigen und haben auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Sie sind ergo leichter in Abhängigkeit zu bringen. Sinnvoll wäre es, diesen Menschen Zugang zur KV zu gewähren, anstatt sie quasi durch zusätzliche Berufsverbote noch mehr abzustrafen.

  8. Nun zum Thema Kondompflicht:

    Nein, es spricht überhaupt nichts gegen die Benutzung von Kondomen in der Sexarbeit.

    Aber man kann auch eine an sich sinnvolle Sache rechtlich diskriminierend umsetzen, bzw. aufgrund von diskriminierenden Vorurteilen erdenken. Das Vorurteil lautet: Sexarbeiter sind Virenschleudern und verbreiten STIs und HIV, deswegen muß man sie, zum Schutz der normalen, gesunden Bevölkerung, zur Kondomnutzung zwingen.

    Dabei besagt das IfSG, übrigens Bundesrecht und deshalb durch Staatskohle finanziert: Prävention durch Aufklärung (nicht durch Zwang). Die Erfolge dt. Aufklärungskampagnen sind messbar. Wir haben hier sehr niedrige Neuansteckungsraten. Sexarbeitern ist es möglich, sich anonym und kostenlos beraten und untersuchen zu lassen. Diese Angebote werden genutzt, das Vertrauen ist groß, Gesundheitsämter, Dt. AIDS-Hilfe und Sexworker sind damit zufrieden.

    Kondomzwänge werden das Vertrauensverhältnis schwächen und die staatliche Finanzierung von Aufklärungskampagnen wird zurückgefahren, weil das Geld für Überwachung gebraucht wird. Dabei leuchtet eigentlich jeder aufgeklärten Sexarbeiterin die Kondomnutzung total ein. Zwang führt hingegen nicht zu Einsicht und Erkenntnis. Durch Zwang werden Sexworker entmündigt, Aufklärung respektiert sie jedoch als vernunftbegabte Individuen.

    Darüberhinaus kann eine staatlich verordnete und in einem Bundesgesetz verankerte Kondompflicht für nur diese eine Berufsgruppe nicht als „Arbeitsschutzmaßnahme“ bezeichnet werden. Regeln zum Arbeitsschutz werden von Kammern, Gewerkschaften und Berufsverbänden verhandelt, also von den in diesem Beruf Arbeitenden selbst. Entmündigt der Staat diese Arbeitenden, indem er ihnen vorschreibt, wie sie ihren Beruf auszuüben haben, ist das diskriminierend, schränkt Menschen-, Grund- und Berufsrechte von Sexworkern ein.

    Und das sind nicht die einzigen Gründe, die gegen einen Kondomzwang sprechen…

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